Anthony Powell gilt als einer der großen englischen Schriftsteller und ist mit seinen Altersgenossen Evelyn Waugh, Herny Green, Graham Greene und George Orwell gleichzusetzen. Oft wird sein Hauptwerk auch im gleichen Atemzug mit Proust oder Balzac genannt. Trotzdem ist Anthony Powell in Deutschland noch relativ unbekannt. Dies will der dtv Verlag ändern und hat begonnen, die ersten Bände von Powells 12teiligen Roman „Ein Tanz zur Musik der Zeit“ neu herauszubringen.
12 Bände? Ja, genau! Oder 2948 Seiten, wie Die Zeit zusammengerechnet hat. Dabei begleitet man den Erzähler Nicholas Jenkins in seinem Leben, vom College bis in hohe Erwachsenenalter zwischen den Jahren 1914 und 1971. Band 1 „Eine Frage der Erziehung“ setzt folglich mit dem Besuch des Colleges ein.
Mit Jenkins treten wir ein in die Welt der englischen Upper Class und lernen seine gutbetuchten Klassenkameraden kennen. Später wird Jenkins auch bei anderen Gelegenheiten zu den Kameraden nach Hause eingeladen. So weitet sich der Kreis an Personen, die der Leser durch Jenkins Augen sieht – an die 400 sollen es bis zum Ende des letzten Bandes werden. In einzelnen Schnappschüssen und Momentaufnahmen wird das Leben aus der High Society beschrieben: Mütter, die das Geld mit vollen Händen ausgeben. Söhne, die bis nach Afrika geschickt werden, damit sie dem Liebhaber der Mutter nicht im Weg sind. Rasante Autofahrten bei denen vor jungen Damen geprotzt wird. Self-Made-Männer, die deshalb gehänselt werden. Oder Männer, die sich wegen eines vermasselten Tennismatches hassen. Man merkt schnell, dass sich hier eine ganze Menge schräger Vögel tummeln.
Zusammengehalten wird das ganze zwar durch die Figur Jenkins, der wohl auch biografische Züge von Powell hat. Aber die Erzählerfigur selbst bleibt ziemlich blass. Wir erfahren eigentlich nur wenig über ihn und seine Familie, außer vielleicht seinen verrückten Onkel. Er bleibt eher als Beobachter am Rande. Jenkins zwar auch zur Upper Class, lernt diese aber scheinbar mit uns Lesern neu kennen und so bekommen auch wir nach und nach Einblicke in diese teils sehr skurrilen Persönlichkeiten.
Ein zurückhaltender Erzähler
Ein bisschen schade fand ich es beim Lesen, dass Jenkins so blass bleibt. Vielleicht ändert sich das in späteren Bänden oder man kann sich etwas mehr in ihn einfühlen. Aber so wirkte es noch etwas distanziert auf mich. Auch kann ich verstehen, dass viele online schrieben, wie zum Beispiel auch Tobi von Lesestunden, dass ihnen die Tiefe fehlte. Aber so stelle ich mir irgendwie auch diese versteifte, versnobte, verschlossene Gesellschaft vor. Deshalb habe ich mich selbst nicht so dran gestört. Mich erinnerte es vielmehr an Downton Abbey, da sind die Damen und Herren ja zu Weilen auch sehr snobby-distanziert. Very british! Überhaupt rief das Buch bei mir Erinnerungen an eine Soap wach, nur eben nicht so modern wie GZSZ & Co., sondern eben im Setting 1920iger.
So wie der Protagonist Jenkins immer wieder fast zufällig auf Personen trifft, so zufällig und anekdotisch wirkt auch die ganze Geschichte. Es ist, als jemand einem Abends von seinen letzten Erlebnissen erzählt. Es wirkt etwas wie ein: „Hast du schon gehört von“ oder „Wusstest du schon, dass“. Anekdoten aus der Upper Class, Berichte von Landpartien, Dinnerpartys oder Auslandsaufenthalten gespickt mit herrliche egozentrischen Figuren, die einem nach dem ersten Band vielleicht nicht ans Herz gewachsen sind, aber doch schmunzeln lassen.
Vielleicht ist es, wie mit den britischen Filmen: da trennen sich ja auch die Geister, ob Verfilmungen wie Ritter der Kokosnuss nun witzig sind oder nicht. Die Briten haben halt so ihre ganz eigene Art und ihren eigenen Humor. Und ich denke, dass es mit Powell ganz ähnlich ist. Lässt man sich erst einmal ein in diese merkwürdige Welt dieser etwas versteiften Damen und Herren, dann kann man auch den schönen ironischen Schreibstil von Anthony Powell genießen.
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