Dieses hübsche kleine Büchlein ist ein wahrer Schatz – vor allem für diejenigen, die zur Zeit nicht in Urlaub fahren können. Mit „Reisen“ kann zumindest euer Kopf in die Ferne schweifen.
„Dieses Buch ist keine Anthologie, sondern eine neue Art, Texte zu inszenieren. Sechs Autorinnen und Autoren greifen einen Themenvorschlag auf und erzählen aus ihrere Sicht darüber. Es sind allesamt Liebeserklärungen an eine der feinsten Erzählkünste: der Kurzgeschichte. Besuchen Sie die sechs Erzählbühnen. Dort warten Überraschungen auf Sie. Ich garantiere Ihnen große Unterhaltung. Ich war dort.“
Root Leeb: Fünf Frauen machen eine Reise
Root Leeb nimmt uns Leser mit auf Fantasiereisen, das hat mir besonders gut gefallen. Sie hat ihren Part in Untergeschichten eingeteilt mit den folgenden Titeln: Nach links, Nach rechts, Nach unten, Nach oben, Nach innen. Jede Erzählung ist dadurch nur ca. 3 Seiten lang und trotzdem total tiefgründig und abgerundet – das fand ich wirklich ein Kunststück! Dabei dreht es sich immer um eine weibliche Figur, die sich auf eine abstrakte Reise begibt z.B. durch eine Öffnung im Teppich eine Leiter hinabsteigt oder in ein Schneckenhaus hineinkriecht, in der sich eine Bibliothek verbirgt.
Monika Helfer: Sechs Geschichten
Wie der Titel schon sagt, sind auch in diesem Abschnitt wieder mehrere Geschichten mit unterschiedlicher Länge gruppiert. In den Geschichten kommen die unterschiedlichsten Figuren auf, die aber irgendwie alle etwas besonders sind. Überhaupt ist jede Geschichte etwas besonderes und sehr phantasievoll. Ich hatte das Gefühl, dass hinter jeder Geschichte die Bemühung steckt, eine einzigartige Geschichte zu erzählen.
Michael Köhlmeier: Lange Nacht heim
Köhlmeier hat sich ebenso wie Hohler darauf konzentriert eine einzige Geschichte zu verfassen. Gefühlt war es die längste von allen. Und dabei habe ich das erste Mal richtig gespürt, dass es wirklich nicht auf die Länge ankommt, um Tiefe zu vermitteln. Seine Geschichte über eine Frau, die auf der Straße überfallen wird, und der ein junges Mädchen zu Hilfe eilt, war nicht schlecht. Aber im Vergleich haben mir andere Geschichten besser gefallen.
Natasa Dragnic: Sandfluchten
Zwei Geschichten in denen die Hauptfigur durch eine Reise ans Meer versucht, Abstand von schlimmen Erlebnissen zu Hause zu gewinnen und Kraft für einen Neuanfang zu schöpfen. Die zweite Geschichte „Das Meer aus Sand“ hat mir fast am besten gefallen von allen. Denn hier ist was für Bücherwürmer dabei 🙂 Der Protagonist beschreibt seine Gefühlszustände mit Buchtiteln, da er stelbst den ganzen Tag lang da sitzt und schreibt. So verarbeitet er ein traumatisches Erlebnis. Dargestellt wird das ganz dann so: „Um am nächsten Morgen wieder von der Sonne geweckt zu werden, verschwitzt und in einem leichten Panikzustand. Krieg und Frieden.“ (S. 139). Das ist doch mal eine sehr originelle Form.
Rafik Schami: Das Fremde und das Eigene
Zwei Geschichten teilen sich diese Kapitel. Beide sind wie die Eröffnungsgeschichte wieder sehr realistisch gehalten. Der erste Protagonist bereist als Rentner und Witwer fernöstliche Ländern, gibt er zumindest vor. In Wahrheit verbringt er einfach viel Zeit mit Einwanderern, die um seinen Heimatort rund herum leben und ihn mit ihren traditionellen Gerichten bekommen und von ihrer Heimat erzählen. Der zweite Protagonist reist nach Italien um seinem eigenen Charakter zu entkommen. Denn er wurde in München schon 10 Frauen verlassen und versteht nicht warum. In Italien scheint es auch mit einer neuen Liebe zu klappen, weil er dort wie ein andere Mensch ist. Zurück in München fällt er leider wieder in alte Verhaltensmuster zurück.
Reisen kann viel bewirken und ist auch immer eine Reise zu sich selbst. Das macht dieser Band mehr als deutlich. Eine sehr schöne Abwechslung zu manch langen und zähen Romanen
Infos zum Buch:
Rafik Schami (Hrsg.): Reisen
Kurzgeschichten
Hardcover Leinen
192 Seiten
Preis: 19,90 Euro
ISBN: 978-86913-498-7