Wer nach den vielen Feiertagen genug von seiner Familie hat und sich denkt, die eigene Sippe ist die schlimmste, der sollte jetzt „Das Unglück anderer Leute“ lesen. Denn hier beschreibt Debütautorin Nele Pollatschek die chaotischste und skurrilste Familie aller Zeiten.
Oxford-Studentin Thene will eigentlich nichts weiter als in Ruhe studieren und Zeit mit ihrem Freund verbringen. Aber sie bleibt nicht von anstrengenden Anrufen und Treffen mir ihrer Mutter verschont. Thenes Mutter ist wirklich der Kracher! Chaotisch und viel zu aktiv, versucht sie alles unter einen Hut zu bringen. Das Mutter-Tochter-Treffen wird gleichzeitig mit dem Zauber-Auftritt des Sohnes verbunden, auf dem dann noch zufällig ein alter Bekannter ist, mit dem die Mutter noch eine wichtige Sache klären muss. Statt wie versprochen die Tochter anschließend nach Hause zu fahren, muss ihr Freund sie auf halber Strecke abholen, weil sich die Mutter weigert. Auf der Fahrt schreien sich dann Mutter und Tochter lautstark an. Urkomisch und bitterböse!
Eine Tragikomödie beginnt
Plötzlich ist es mit dem friedlichen Studentenleben dahin: Durch eine für Thenes Mutter Astrid typische, saudumme Aktion wird sie auf der Autobahn überfahren. Muss Thene jetzt für die beiden Halbgeschwister sorgen? Und wo sind die beiden Väter der Geschwister? Thenes eigener Vater versucht ihr beizustehen, ist aber durch seine theatralische Art keine Hilfe. Die Patchworkkonstellation der Großfamilie zeigt deutlich wie chaotisch Astrid wirklich war: Thenes Vater hat sich von ihr getrennt, weil er eigentlich schwul ist. Er ist jetzt mit seinem Lebensgefährten glücklich. Der Vater von Thenes 15-jährigem Bruder hat die Familie verlassen als er zum Judentum konvertiert ist. Der Vater von Thenes kleiner Schwester hat mit Astrids gesamtem Geld eine eigene Bar aufgemacht. Sowie Astrid jedem, der zu ihr kam und um Hilfe gefragt hat, Geld gegeben hat. Sie hinterlässt ihren Kindern demnach nichts als einen riesengroßen Chaoshaufen. Oh je, wo soll das nur hinführen?
Mit Astrids Beerdigung ändert sich der Ton im Roman und betritt eine mystische, magische Ebene. Denn wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass nachdem gerade eben erst ein Familienmitglied gestorben ist, gleich das nächste abtritt? Jeder denkt, dass dies eher unwahrscheinlich ist. Aber das ist nicht wahr. Und so beginnt eine Kettenreaktion: Erst sterben die Eltern von Thenes Vater, dann Astrids Muter, dann…., dann….. (Ich will hier nicht spoilern ;))
Thene befasst sich mit der Wahrscheinlichkeit und mit der Thematik von Leben und Tod. Die tragische aber auch komische Handlung erlangt damit am Ende eine tiefere Daseinsebene und endet in einer neuen Bewusstseinssphäre: dem Leben nach dem Tod? Oder dem Traum? Das bleibt offen.
Ein fabelhaftes Debüt
Das unglück anderer Leute ist das Erstlingswerk der Studentin Nele Pollatschek. Ich durfte ihr auf der Frankfurter Buchmesse bei einer Lesung lauschen und war bereits hier sehr beeindruckt, mit welch schauspielerischem Talent sie aus ihrem Buch vorgelesen hat. Ich hatte sofort Lust den Roman zu lesen.
Dieses Buch gehört definitiv zu meinen Lesehighlights 2016! In diesem Sinne nehme ich mir für das neue Jahr vor, mich öfters von Unbekanntem überraschen zu lassen.
Infos zum Buch:
„Das Unglück anderer Leute“
Nele Pollatschenk
Galiani-Berlin
ISBN: 978-3-86971-137-9
Erschienen am: 11.08.2016
224 Seiten, gebunden mit SU
Hallo 🙂
Das Buch steht auf meiner Wunschliste, aber jetzt nach dem Lesen der Rezension möchte ich es noch ein bisschen mehr lesen.
Für das neue Jahr habe ich mir ebenfalls vorgenommen, mehr Unbekanntes zu lesen und offener zu sein.
Liebe Grüße,
Julia